Das ÖPNV-Taxi kommt ins Rollen

Der engagierte Landkreis Freudenstadt und Taxibetriebe zeigen, wie man mit Taxis den öffentlichen Nahverkehr ergänzen könnte.

Turqay Topal (r.) und sein Schwiegersohn Emre Kocayigit (l.) sorgen bei Engpässen dafür, dass die Magnetfolie „ÖPNV-Taxi“ aufs Auto kommt und die Fahrten pünktlich abgewickelt werden. Bild: Dietmar Fund
Turqay Topal (r.) und sein Schwiegersohn Emre Kocayigit (l.) sorgen bei Engpässen dafür, dass die Magnetfolie „ÖPNV-Taxi“ aufs Auto kommt und die Fahrten pünktlich abgewickelt werden. Bild: Dietmar Fund
Dietmar Fund
Modellprojekt

On-Demand-Verkehre zur Ergänzung städtischer Bus- und Straßenbahnlinien hat es in Deutschland schon einige gegeben. Aber deren Betreiber machten bei ihren Verkehren nach der Experimentierklausel des „alten“ Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) einen großen Bogen um das flache Land und bedienten allenfalls Randgebiete großer Städte. Dabei wäre gerade in ländlichen Regionen, wo außer Schulbussen nicht viel fährt, der Bedarf an Taxis als „Lückenfüller“ besonders groß. Seit der PBefG-Novelle im Sommer 2021 kann er auch als Linienbedarfsverkehr in der Regie eines Konzessionsinhabers abgewickelt und mit Nahverkehrsmitteln gefördert werden.

Von Haus zu Haus wird die Fahrt teurer

Diesen Weg beschreitet seit Ende 2021 der Landkreis Freudenstadt. Er hat im September 2022 ein ÖPNV-Taxi ins Leben gerufen und den Bürgerinnen und Bürgern zunächst in den Großen Kreisstädten Freudenstadt und Horb am Neckar eine „Mobilitätsgarantie“ ausgesprochen. Wenn sie mit einer halben Stunde Vorlauf einen Fahrtwunsch haben, der nicht innerhalb einer Stunde durch einen Bus oder eine Bahn abgedeckt werden kann, wird für sie ein ÖPNV-Taxi gerufen. Sie bezahlen dann pro Fahrt nur einen Euro mehr, wenn sie zwischen zwei regulären Haltestellen hin- und herfahren und fünf Euro mehr, wenn es von Tür zu Tür gehen soll. Buchen kann man telefonisch über die Mobilitätszentrale des örtlichen Linienkonzessionärs vgf Verkehrs-Gemeinschaft Freudenstadt GmbH oder über die App des Luxemburger App-Entwicklers Savvy Mobility. Er hat bei einer europaweiten Ausschreibung die „üblichen Verdächtigen“ wie ioki, CleverShuttle oder door2door hinter sich gelassen.

Der Landkreis Freudenstadt hat das Projekt im November 2021 in Angriff genommen. Bis Februar 2022 hat er den örtlichen Taxiunternehmen bei vier Terminen das Projekt vorgestellt und die interessierten Betriebe nach der Entscheidung für die Savvy-App, die erst im August 2022 fiel, in die Abwicklung eng mit eingebunden. Nach sechs Wochen intensiver Vorbereitungsarbeiten und einer Schulung eine Woche vor Beginn startete das Projekt (taxi heute berichtete) am 1. September 2022 in Freudenstadt mit Taxi Schumacher als größtem Taxiunternehmen der Kreisstadt mit 130 Fahrzeugen und knapp 200 Mitarbeitenden und dem kleineren Taxibetrieb von Dietmar Fritz, der aktuell nicht mehr dabei ist. In Horb arbeiten die beiden Taxi-Familienunternehmen City-Taxi und Taxi Meyer mit. Alle Fahrerinnen und Fahrer bekamen ein Smartphone pro Fahrzeug gestellt, über das die App läuft. Für Fahrten als ÖPNV-Taxi erhielten die Betriebe zudem Magnettafeln, um auch Eigenwerbung für das Projekt betreiben zu können.

Turgay Topal ist in Horb der Partner des Landratsamtes Freudenstadt. Mit seinem ersten Betrieb City-Taxi hat er im Oktober 2022 das 20-jährige Bestehen gefeiert. City-Taxi hat aktuell 30 Mitarbeiter und setzt 5 von 25 Fahrzeugen für das ÖPNV-Taxi ein. Den zweiten Betrieb Taxi Meyer mit 40 Mitarbeitern und ebenfalls 25 Fahrzeugen, davon 4 ÖPNV-Taxis, hat Topal 2015 übernommen. Auch er war damals schon ein Familienbetrieb. Obwohl beide Betriebe ein eigenes Büro, eine eigene Vermittlung und eigenes Personal haben, sind sie nicht nur über ihren Besitzer miteinander verbunden, sondern auch über familiäre Bande: Topals Tochter leitet die Zentrale von City-Taxi und sein Schwiegersohn Emre Kocayigit zeichnet dort für das operative Geschäft verantwortlich.

Aufträge müssen aktiv angenommen werden

Ihm hat Topal auch das Projekt ÖPNV-Taxi anvertraut, dessen Fahrten zu rund 80 Prozent über City-Taxi abgewickelt werden. Kocayigit hat dafür die Teams beider Unternehmen in einer zweistündigen Einweisung mit der Abwicklung der On-Demand-Fahrten vertraut gemacht. Während beide Unternehmen bisher per Funk vermittelt haben und den Fahrerinnen und Fahrern für deren Erreichbarkeit in entfernteren Gebieten ein Handy mitgegeben haben, um ihnen Aufträge zu erteilen, muss die Belegschaft beim ÖPNV-Taxi Aufträge aktiv entgegennehmen. Ursprünglich hatte Savvy in der App nur die Zuweisung von Aufträgen an Fahrer vorgesehen, aber dann auf Wunsch der Taxibetriebe einprogrammiert, dass man eine angebotene Fahrt als ÖPNV-Taxi auch ablehnen und an Kollegen weitergeben kann, zum Beispiel, wenn gerade unmittelbar eine vorbestellte normale Taxifahrt ansteht. Emre Kocyaigit achtet nun aber in Horb darauf, dass die angebotenen Fahrten in seinem Einzugsgebiet auch rasch angenommen werden. Dafür hat er immer seinen Laptop dabei, um notfalls selbst fahren zu können oder seinen Schwiegervater als „Springer“ zu aktivieren. Die Kunden sehen in der App, welches Unternehmen die Fahrt angenommen hat und wann das Fahrzeug an der Haltestelle oder vor der Haustüre steht. Dort klingeln die Fahrerinnen und Fahrer übrigens nicht, sondern warten nur kurz, wenn ein Fahrgast nicht schon wartet.

Wo die Fahrt starten und wohin sie führen soll, ob ein Fahrgast ein Einzelticket gebucht hat oder mit einer Zeitkarte verbilligt fahren darf, wissen die Fahrerinnen und Fahrer schon vorher. Sie können sich zum Abholort navigieren lassen. Beim Zustieg, den sie in der App angeben, müssen sie etwaige Zeitkarten oder Schwerbehindertenausweise kontrollieren und die Zuschläge in der Regel in bar kassieren. Einen Fahrkartendrucker müssen die Taxis nicht mitführen. Den Fahrgästen wird die Fahrt per SMS oder E-Mail quittiert, nachdem per App deren Ende festgehalten wurde. Nur auf Verlangen bekommen sie eine Papierquittung ausgestellt. Die Fahrten als ÖPNV-Taxi werden nicht über das Taxameter abgewickelt. Die Taxibetriebe bekommen eine monatliche Auflistung aller über sie getätigten Fahrten, säuberlich nach Fahrzeugen getrennt. Gegenrechnen müssen sie ihre Bareinnahmen. Der Landkreis Freudenstadt vergütet die Fahrten mit einem festen Satz pro Besetztkilometer, den Torgay Topal als angemessen bezeichnet.

„Das ÖPNV-Taxi hat bei uns in Horb mittlerweile eine große Resonanz, die wir so nicht erwartet haben“, berichtet der Unternehmer. „Unsere Stadt hat 18 weit verstreute Stadtteile, aus denen viele Bestellungen kommen.“ Im September 2022 seien sie mit nur einem guten Dutzend Fahrten langsam gestartet, aber im Dezember seien es bereits 400 gewesen und seit Januar 2023 rund 600 Fahrten im Monat oder täglich 25 bis 30 Fahrten. Anfangs haben der Unternehmer und sein Schwiegersohn erst einmal einen Fahrer mit dem ÖPNV-Taxi betraut, aber seit es gut angelaufen ist, wurden mehr Mitarbeitende mit einbezogen.

Die beiden stellen fest, dass viele Eltern das ÖPNV-Taxi für ihre Kinder bestellen. Außerdem haben sie bereits Stammkunden, die sogar mehrere Wochen im Voraus Fahrten bestellen können. So wird das Angebot regelmäßig genutzt, um früh morgens oder spät abends, wenn in den Außenbezirken kein Bus fährt, zur Arbeitsstelle im Industriegebiet oder von dort nach Hause zu kommen. Das bei solchen Konzepten stets angestrebte Pooling, die Bündelung mehrerer Fahrten mit ähnlichen Abholorten und Zielen, steckt auch in Horb noch in den Kinderschuhen. Mehr als 90 Prozent der Fahrten seien Einzelfahrten, schätzt Turgay Topal. Ebenfalls rund 90 Prozent der Fahrten führten zum Bahnhof. Während jüngere Leute gerne per App buchten, nützten Ältere gerne die telefonische Buchungsmöglichkeit.

Der Projektleiter hängt sich ordentlich ‘rein

Der Unternehmer und sein Schwiegersohn sind mit dem Projekt und der Unterstützung seitens des Projektleiters Oliver Valha im Landratsamt sehr zufrieden. Der Sachgebietsleiter für den ÖPNV nehme Anregungen aus Unternehmerkreisen und seitens der Fahrgäste rasch auf und koordiniere Verbesserungen mit den Entwicklern der App. Das Fazit von Turgay Topal: „Für uns ist das ÖPNV-Taxi eine interessante Ergänzung zu unserem normalen Taxigeschäft, bei dem Kranken- und Schülerfahrten dominieren.“

Bei Taxi Schumacher in der Kreisstadt Freudenstadt kümmern sich Anuschka Spingler, Disponentin für Krankenfahrten und „Mädchen für alles“ und Anja Schindler, Disponentin für die Schülerbeförderung um das ÖPNV-Taxi. Ihre Fahrerinnen und Fahrer wurden erst Anfang 2022 vom Funk „entwöhnt“ und auf die Datenfunk-Vermittlung umgestellt. Sie arbeitet mit einem Pad und der Vermittlungssoftware von SuE. Für Fahrten als ÖPNV-Taxi stellen die Freudenstädter am Taxameter eine Rechnungsfahrt ein. Ihre Fahrzeuge haben parallel zum Pad ein Smartphone wie ihre Kollegen und Kolleginnen aus Horb. Sie müssen sich natürlich auf dem Smartphone anmelden, um für Fahrten als ÖPNV-Taxi verfügbar zu sein. Das klappte anfangs nicht immer, renkte sich aber bald ein.

Bei einer ersten Zwischenbilanz im November 2022 stellte Projektleiter Oliver Valha noch fest, dass das Projekt in Horb wesentlich besser laufe als in Freudenstadt. Auf Anfrage von taxi heute erklärte er sich dies im Februar 2023 hauptsächlich mit dem Umstand, dass Freudenstadt weniger Ortsteile habe, die vom Stadtzentrum nicht weit entfernt lägen und auch über Buslinien recht gut angebunden seien.

„Die Taxifahrer müssen den Umgang mit der App lernen und auch reagieren, wenn ihre Taxizentrale gerade nicht besetzt ist“, sagt Valha. „Sie können einen Auftrag an einen Kollegen weiterleiten. Schwierig ist das nur, wenn zum Beispiel abends gerade viel los ist.“ Nach einigen Verbesserungen im Ablauf und in der Darstellung hätten die Entwickler inzwischen auch die letzten englischen Begriffe in der App eingedeutscht. Dazu gebe es wöchentliche Meetings mit den App-Entwicklern, bei denen er das Feedback der Fahrgäste und der Taxiunternehmen mit einbringe.

„Nachdem wir in Freudenstadt und Horb im Januar zusammen durchschnittlich 33,9 Fahrten hatten, haben wir im Februar 35 bis 40 Fahrten pro Tag verzeichnet. Wir werden das Projekt weiter beobachten, verbessern und optimieren“, kündigt Valha an. Laut Pressesprecherin Sabine Eisele wird der Kreistag am 8. Mai 2023 ÖPNV-Themen beraten und dabei auch eine weitere Zwischenbilanz des ÖPNV-Taxis ziehen. Ob es auf weitere Gemeinden wie Baiersbronn, Empfingen und Eutingen im Gäu oder die Kleinstadt Alpirsbach ausgedehnt werden solle, werde dabei auch besprochen.df

Werbetrommeln sind wichtig

Über das vom Land Baden-Württemberg mitfinanzierte ÖPNV-Taxi wurde in der regionalen Tagespresse und im Regionalfernsehen SWR berichtet. Mit einem Flyer sprechen das Landratsamt und das Verkehrsunternehmen vgf Schulen und Behörden an. Außerdem wird mit Plakaten und elektronischen Anzeigetafeln an Ortseingängen dafür geworben. Turqay Topal berichtet außerdem, dass sein Team und er auch bei normalen Taxi-Kunden Mund-zu-Mund-Propaganda für das Projekt betreibe. Kunden und Kundinnen, bei denen die Kasse knapp sei, gäben sie entsprechende Tipps.

Fahrten muss man bezahlen oder stornieren

Die Fahrten mit dem ÖPNV-Taxi können zwar weitläufig vorbestellt werden, aber man muss sie auch antreten. Wenn etwas dazwischenkommt, können und müssen die Nutzer ihre Fahrt stornieren. Tun sie das nicht, müssen sie ihre nächste Fahrt vorab online bezahlen. Wer hartnäckig nicht erscheint und auch nicht storniert, kann als Nutzer gesperrt werden.

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel Das ÖPNV-Taxi kommt ins Rollen
Seite 14 bis 0 | Rubrik Unternehmensführung
Logobanner Liste (Views)