Agora/DVR/ADFC/Städtetag: Straßenverkehrsrechts-Reform ist wichtiger Schritt, aber nicht genug

Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes sei eine wichtige Etappe auf dem Weg zu besserer Mobilität, urteilt der Thinktank. Im nächsten Schritt müsse die Anpassung der StVO an neuen Zielen erfolgen. Das finden auch ADFC, DVR und Deutscher Städtetag. Letzterer kritisiert, dass Kommunen nicht flächendeckend Tempo 30 einrichten dürfen. Der DVR moniert, dass die Klarstellung fehlt, dass "Leichtigkeit und Sicherheit" für alle Verkehrsarten, nicht nur für Autos gilt.

Weniger ist mehr: Tempo 30 dürfte kaum negativen Einfluss auf den ohnehin oft zähen Verkehrsfluss haben, auf Sicherheit und Klima dagegen positive. | Foto: dpa/Jörg Carstensen
Weniger ist mehr: Tempo 30 dürfte kaum negativen Einfluss auf den ohnehin oft zähen Verkehrsfluss haben, auf Sicherheit und Klima dagegen positive. | Foto: dpa/Jörg Carstensen
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Die von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hält der Berliner Thinktank Agora Verkehrswende für eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem modernen Straßenverkehrsrecht. Es werde allerdings nicht die letzte sein. Mit der Reform hätten Bundesregierung und Länder nach einem langen Verhandlungsprozess und zwischenzeitlicher Blockade durch unionsgeführten Länder unter der Initiative Bayerns die Grundlage für mehr Entscheidungsfreiheit der Kommunen bei der Gestaltung von Mobilität und öffentlichem Raum geschaffen.

"Mit der neu gefundenen Formulierung wird das Ziel der Sicherheit des Verkehrs etwas stärker betont, zugleich bleibt der Grundgedanke der Reform unverändert: neben der ‚Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs‘ sind im Straßenverkehrsrecht nun auch die Ziele des Umwelt- und Klimaschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung maßgebend. Das Straßenverkehrsgesetz setzt erst einmal nur den Rahmen. Deshalb kommt es jetzt darauf an, auch die Straßenverkehrsordnung im Sinne der Gesetzesreform weiterzuentwickeln", meint Agora-Direktor Christian Hochfeld.

Für die nächste StVO-Novelle liege bereits seit letztem Jahr ein abgestimmter Entwurf vor, der zwar noch nicht alle Möglichkeiten ausschöpft, aber für einige Bereiche Verbesserungen bringt. Dieser Kompromiss sollte möglichst noch vor der Sommerpause beschlossen werden, um keine weitere Zeit zu verlieren. Viele Kommunen würden darauf, sich auf einer neuen Rechtsgrundlage für lebenswertere Städte und Gemeinden einsetzen zu können. Mit der geplanten StVO-Novelle könnten sie schon an einigen Punkte ansetzen.

"Eine konsequente Ausrichtung der StVO an den erweiterten Zielen des neuen Straßenverkehrsgesetzes ebnet nicht nur den Weg für mehr Lebensqualität, sie sorgt auch für mehr Rechtssicherheit und führt damit zur Entlastung der Verwaltungen und zu weniger Bürokratie", so Hochfeld weiter.

Das Straßenverkehrsrecht definiert die Möglichkeiten und Grenzen des kommunalen Handelns, etwa wenn es darum geht, Busspuren und Radwege einzurichten, Höchstgeschwindigkeiten den örtlichen Begebenheiten anzupassen oder das Parken im öffentlichen Raum zu regeln. Die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hatte am 24. November 2023 im Bundesrat nicht die erforderlichen Stimmen erhalten. Nach langer Pause rief die Bundesregierung am 6. Juni 2024 den Vermittlungsausschuss an, weil eine neue Kompromisslösung absehbar war. Nach Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses sollen die neuen Ziele des Straßenverkehrsgesetzes so berücksichtigt werden, dass sie „die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigen“. Im früheren Entwurf sollten sie einfach neben der Verkehrssicherheit berücksichtigt werden.

ADFC begrüßt den Schritt - und fordert mehr

Auch der Fahrradclub ADFC hatte sich seit Jahren für die Modernisierung stark gemacht und begrüßt die Novelle. Sie war dringend notwendig, denn das alte Verkehrsrecht priorisierte Kraftfahrzeuge und verhinderte häufig sinnvolle Umgestaltung des Verkehrs zugunsten schwcherer Verkehrsteilnehmender.

„Es war höchste Zeit, dass das angestaubte Straßenverkehrsgesetz endlich in der komplexen Verkehrsrealität von heute ankommt und Möglichkeiten für eine klima- und menschenfreundliche Gestaltung der Straßen eröffnet. Mit der Reform werden Kommunen in der Lage sein, geschützte Radfahrstreifen, Fahrradstraßen und mehr Tempo 30 einzurichten und so zügig die zahllosen Lücken im Radwegenetz zu schließen, ohne durch unsinnige Bürokratie ausgebremst zu werden", findet ADFC-Bundesgeschäftsführerin Caroline Lodemann.

Noch Nachbesserungen nötig

Der ADFC kritisiert jedoch, dass auch im neuen StVG ein klares Bekenntnis des Gesetzgebers zur Vision Zero fehlt. Und das, obwohl das Ziel eines Verkehrs ohne Tote und Schwerstverletzte ausdrücklich das Leitbild des Verkehrssicherheitsprogramms des Bundes ist. Damit fehlt ein eindeutiger Maßstab dafür, was mit dem Ziel Verkehrssicherheit im StVG überhaupt gemeint ist. Eine Reduzierung der Blechschäden beispielsweise reiche dafür nicht aus, so der ADFC. Lodemann: „Die Sicherheit der ungeschützten Verkehrsteilnehmenden -  also der Kinder und Erwachsenen, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad unterwegs sind -  muss höchste Priorität im Verkehrsrecht haben.“ 

StVO muss ebenfalls überarbeitet werden

Damit das Potential des neuen Verkehrsrechts genutzt werden kann, müsse nun auch zügig die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und die technischen Regelwerke für den Straßenbau modernisiert werden. Der Fahrradclub fordert die Abschaffung des Begründungszwangs für die Einrichtung von Radwegen. Auch sollen Radwege Priorität gegenüber Kfz-Parkplätzen haben. Tempo 30 soll innerorts Regelgeschwindigkeit werden, Tempo 50 die Ausnahme. Die Regelwerke müssen an der Vision Zero ausgerichtet werden und Vorgaben zur Verkehrsverlagerung machen, so wie es im Regelwerk „E Klima 2022“ bereits vorformuliert ist.   

Deutscher Städtetag: Nicht der "ganz große Wurf"

Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy äußerte Lob und Kritik nach der Entscheidung. Die Reform des Straßenverkehrsgesetzes sei jetzt auf der Zielgerade und es sei gut, dass die Novelle endlich kommt.

"Der ganz große Wurf für mehr Entscheidungsfreiheit der Städte vor Ort ist die Reform aber definitiv nicht. Daran hat auch der Vermittlungsausschuss nichts geändert. Die Reform sorgt zum Beispiel nicht wirklich dafür, dass Tempo-30-Zonen künftig einfacher und flexibler festgelegt werden können. Tempo 30 wird lediglich an wenigen Orten wie Kinderspielplätzen oder viel genutzten Schulwegen erleichtert", kritisiert Dedy.

Trotzdem gehen aus seiner Sicht einige neue Regelungen im Straßenverkehrsgesetz in die richtige Richtung: Die Sicherheit im Straßenverkehr wird gestärkt und der Klima- und Umweltschutz im Verkehrsrecht verankert. In der Praxis haben die Städte künftig etwas mehr Spielraum für Verkehrsmaßnahmen, wo Kinder zu Kita, Schule oder Spielplätzen unterwegs sind. Und Radfahrstreifen und Busspuren können mit weniger Hürden als bisher eingerichtet werden.

"Klar ist aber: Wir brauchen noch deutlich mehr kommunalen Entscheidungsspielraum, denn die Städte sind die Verkehrsexperten vor Ort", forderte Dedy.

Aktuell fordern mehr als 1.100 Städte und Gemeinden in Deutschland, darunter zahlreiche Bürgermeister der Unionsparteien, in einer Initiative eben genau mehr Spielraum bei der Einrichtung von Tempo 30. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte es als Erfolg verkauft, dass "flächendeckendes Tempo 30 vom Tisch" sei. Auch der ADAC ist gegen generelles Tempo 30, speziell auf Hauptverbindungen des Pendler- und Wirtschaftsverkehrs.

DVR: Sicherheit und Leichtigkeit gilt für alle Verkehrsarten, nicht nur Autos

Im Hinblick auf die Vision Zero (Null Verkehrstote) ist fraglich, ob die Reform wirklich weiter hilft. Denn nach wie vor ist Prävention nicht das leitende Prinzip, sondern wie bisher der Nachweise einer "besonderen Gefahrenlage", sprich Unfalllast. Insofern überrascht die Kritik des Deutschen Verkehrssicherheitsrats auch nicht, der von einer "kleinen Reform" spricht, deren Wirkung sich noch nicht seriös abschätzen lasse.

„Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Vorrang der Sicherheit eindeutig ins Straßenverkehrsgesetz hineingeschrieben wird. Die für uns noch fehlende Klarstellung, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs für alle Verkehrsteilnehmenden gilt, werden die Kommunen in der Gestaltung des Verkehrsraums nach dem Präventionsprinzip umzusetzen wissen". meint Manfred Wirsch, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR).

Der Rat, dem alle zuständigen Ministerien, Unfallkassen, Verkehrsclubs sowie Autohersteller angehören, hätte zudem die Klarstellung begrüßt, dass die sogenannte "Sicherheit und Leichtigkeit" für alle Verkehrsarten gelten. "Eigentlich gilt das schon immer, wird aber zu oft einseitig interpretiert, zugunsten des Autoverkehrs", kritisiert eine Sprecherin gegenüber der SZ.

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