Fahrbericht Mercedes-Benz S580e/S680 Guard: Die edelste Form der 4matic

Auf den „Snowy Top“ brachte Mercedes-Benz auch zwei 4maticisierte S-Klassen mit: den S580e und den S680 Guard, beide mit 4mativ Allradantrieb. Ersteren durften wir selbst fahren, im Letzterem ließen wir uns chauffieren.

Der absolute Gipfel im doppelten Sinn: Der S680 4matic Guard auf dem Timmelsjoch. | Foto: G. Soller
Der absolute Gipfel im doppelten Sinn: Der S680 4matic Guard auf dem Timmelsjoch. | Foto: G. Soller
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

„Gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“ sagt der Volksmund. Die gibt es auch in den höherwertigen Mercedes-Benz-Modellen wie der S-Klasse. Die beim „Snowy Top“-Gipfel in Hochgurgl immer mal wieder getauscht wird, wie Pressefotos verraten: Von unserem hellblauen S580e gab es keine Bilder, dafür folgte tags darauf die Info, dass das „Manufakur-Programm“ ausgebaut wird. Manufaktur bedeutet „Made in Sindelfingen im Quadrat“, heißt: Die dort montierte S-Klasse wird mit viel Handarbeit an individuelle Kundenwünsche angepasst.

In unserem Fall mit einem fast schneeweißen Interieur, dem speziellen Lack und feinsten Ledersitzen innen samt Ruhekissen fürs Gewissen. Das so gut nicht war, denn eine S-Klasse ist nach wie vor eigentlich viel mehr als man wirklich braucht, auch wenn dank 28,6 kWh-Akku die bis zu 111 Kilometer rein elektrisch schweben können soll und so dem weniger staatstragend wirkenden EQS noch mehr potenzielle Kunden abspenstig macht.

Im Interior gibt es auf Wunsch (fast) Alles

Auf jeden Fall herrscht innen Ruhe als wir die Portale schließen und langsam losströmen: Erst elektrisch kommt die per viel Handarbeit erhöhte Eleganz so richtig zum tragen. Als wir in den Kehren mal kurz aufs wilde Sportprogramm gehen und beim ESP-Eingriff die ganz lange Leine lassen, um die Spitzkehren des Himmelsjochs im zarten Drift zu durchqueren, fühlt sich das im Gegensatz zum ebenfalls gefahrenen, bellenden C63s AMG so unpassend an wie Kiss im Klassik-Konzert.

Zumal der Reihensechszylinder ordentlich Sprit nimmt, aber auch der elektrische Verbrauch nicht ohne ist: Strömt man tief verschneite und teils vereiste Berge empor, laufen punktuell schon mal 30 l/100 km und mehr durch die Einspritzdüsen oder es werden gut 50 kWh/100km aus dem Akku gezogen – was sich dann aber bei Bergabfahrt wieder relativiert: Am Ende sind wir fast alles elektrisch gefahren und landeten im Mittel ganz knapp unter 30 kWh/100 km netto und ein bisschen Sprit, was angesichts der Temperaturen (bis minus 11 Grad) und der Straßenverhältnisse in Ordnung geht.

Das Zusammenspiel zwischen E-Maschine und Sechszylinder erfolgt unmerklich

Mehr als in Ordnung ist dabei der gediegene Auftritt der S-Klasse samt fein abgestimmtem Fahrwerk und verständigem Infotainment. Er versteht die allermeisten auch teilabstrakten Ansagen, die Sitzen heizen herrlich und können mehrere Massageprogramme und betten den Kopf weich auf ihren sternenbestickten Ruhekissen, kurzum: Die S-Klasse bleibt sich auch als Allrad-Plug-in-Hybrid absolut treu, selbst wenn ab und an der Reihensechszylinder das Wort erhebt. Am Tag der Textverfassung kostete die „S580e 4matic Limousine mit EQ-Technologie“ übrigens ab 141.003,10 Euro – mit Manufaktur-Sonderausstattungen dürfte der Vorführer allerdings sehr weit nördlich der 150.000-Euro-Grenze zu verorten sein.

 

Eigentlich streng geheim: Mercedes-intern wurde lang diskutiert, ob man den S680 4matic Guard mitbringt

Noch viel teurer und erhabener ist das Fahrgefühl im „S680 4Matic Guard“, dessen Teilnahme eine fast endlose Diskussion vorausging. Den Gerüchten nach soll auch der Bundeskanzler schon in genau diesem Auto gesessen haben. Er ist nach der höchsten Schutzklasse 10 gepanzert mit zwei Zentimeter dicken Sicherheitsglasscheiben. All das wiegt: Das Leergewicht startet laut unserem Chauffeur Saša Zejnić, der bei den Guard-Fahrzeugen für Kommunikation und Marketing verantwortlich ist, bei rund 4,2 Tonnen, was über fünf Bar Luftdruck in den Notlaufreifen bedingt und den Einsatz des ehrwürdigen V12 notwendig erscheinen lässt. Der WLTP-Verbrauch liegt bei exakt 20,0 Litern pro 100 Kilometer, was 454 Gramm CO2 pro Kilometer entspricht, mehr als Effizienzklasse „G“ ist da nicht drin.

Gurte im Fond mit integrierten Airbags

Wir gurten uns an und wundern uns über das breite Gurtband im Fond: es hat einen integrierten Airbag! Ansonsten stellt man kaum Unterschiede zum Standard-S fest. Auch das Raumgefühl bleibt großzügig.

Man hört von der Außenwelt praktisch nichts mehr

Bergauf nahm er über 70(!), um auf der anspruchsvollen verschneiten Kurzstrecke bergab dann deutlich sparsamer zu werden. Und das mit einer Souveränität, die noch über dem S580e lag. Was zum einen daran liegt, das der V12 natürlich per se extrem leise läuft. Aber auch daran, dass die dicken Scheiben und die Panzerung die meisten Geräusche aus der Umwelt absorbieren. Man hört nur noch ein dezentes Reifenabrollgeräusch, sonst nichts – außer in den engen Kehren, in denen der V12 ganz dezent seine Stimme erhebt. Und so stürmen wir mit dem schweren Brocken sehr schnell das Timmelsjoch empor. Wovon man im Fond fast nix mitbekommt.

Dort hatte unser Modell einen Kühlschrank verbaut, man könnte aber auch klappbare Bürotische, eine Minibar oder oder oder ordern – nachdem an jedem „Guard“ ein halbes Jahr lang in Sindelfingen noch mehr Handarbeit angelegt wird, als beim Manufaktur-S580e, kann man sich notfalls auch noch ganz kurz nach Bestellstart entscheiden, doch den Schreibtisch statt der Bar zu nehmen. Über Stückzahlen, Preisen und natürlich Kunden deckt Saša Zejnić den dezenten Mantel des Schweigens – wie die S-Klasse auch. Wenn sie sprechen könnte – was hätte sie wohl alles zu erzählen?

Am Ende reißt es uns jäh aus unserem guten-Gewissen: Das Display im Fond meldete 48,2 l/100 km über die letzten 90 Minuten, in denen der Zwölfzylinder immer wieder zum Timmelsjoch emporkletterte und wieder herunterfuhr. Gut, dass er zwar über Gurtairbags im Fond verfügt, aber nicht über die Manufaktur-Ruhekissen des S580e….denn gutes Gewissen haben wir ob des Spritkonsums eher keines mehr…

Ganz ehrlich – auch wenn man den V12 des S680 Guard nur entfernt säuseln hört - rein elektrisch strömt die S-Klasse am elegantesten – schade, dass Mercedes-Benz beim EQE und EQS laut Insidern auf die Kundenklinik in Asien verzichtet hat: Denn dort braucht es Erhabenheit, eine breite C-Säule und einen stehenden Stern am Kühler. All das bringt die „klassische S-Klasse“ mit – weshalb es eine sinnvolle Entscheidung ist, den EQS künftig mit der klassischen S-Klasse zusammenzulegen.  

 

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