Valeo Deutschland & VP Power Drive Europe: "Remanufacturing macht vieles einfacher!" - Holger Schwab im Gespräch

Der schwäbischer Akzent des neuen Valeo-Chef Deutschland und Vice President Power Drive Europe Holger Schwab verspricht schon per se technische Kompetenz im Automotive-Bereich. Indem er die einzelnen, teils neu geordneten Divisionen im Detail aufdröselt und so manchen Hintergrund erklärt, festigt sich diese sehr schnell.

 

Holger Schwab, President Valeo Deutschland und VP Power Drive Europe, gab uns tiefe Einblicke in alle Valeo-Divisionen. (Foto: Valeo)
Holger Schwab, President Valeo Deutschland und VP Power Drive Europe, gab uns tiefe Einblicke in alle Valeo-Divisionen. (Foto: Valeo)
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Grob gesprochen hat Valeo die drei großen Divisionen Valeo Brain, welche das softwaredefinierte Fahrzeug, indem sie Pionierarbeit bei der Automatisierung des Fahrens leistet und das Innenraumerlebnis neu definieren soll, um eine neue Ära des autonomen und komfortablen Reisens zu schaffen.

Dazu gehört im Falle des elektrischen und elektrifizierten Fahrens Valeo Power, das das gesamte Know-how in den Bereichen Thermomanagement und Antriebssystemen bündelt, um eine einheitliche und umfassende Palette von Lösungen für den Elektrifizierungsmarkt anzubieten. Und last but not least wäre da Valeo Light, wo man Technologien anbietet, die die Sichtbarkeit des Fahrzeugs für Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer verbessern. Wobei uns dann schon wundert, dass vermeintlich banale Produkte wie Beleuchtung oder Scheibenwischer neben großen High-Tech-Produkten wie Lidaren oder E-Maschinen stehen, was uns gleich zu unserer ersten Frage führt.

Valeo hat drei große Divisionen. Stehen die in Sachen Umsatz und Entwicklungsbudget alle gleichwertig nebeneinander? Und was können die Nutzer demnächst wo erwarten?

Schwab: Bevor ich hier voll einsteige, muss ich schnell klarstellen: Die neue Nomenklatur basiert auf den Markterfordernissen. Valeo Power ist in Summe mit Abstand die größte Division und beinhaltet neben dem Antrieb auch die thermischen Systeme. Die bisherigen Business Groups Powertrain Systems und Thermal Systems kommen auf rund die Hälfte des Gruppen-Umsatzes. Die Logik dahinter ist ganz einfach: Alle Systeme in diesem Bereich werden effizienter, kleiner und kostengünstiger und um das zu erreichen können wir auch zahlreiche interne Synergien nutzen und unsere Produkt-Roadmap nach einem kompletten Systemansatz ausrichten. Und um das gleich vorwegzunehmen: „Light“ sind nicht nur ein paar Lämpchen oder Wischer. Denn die Entwicklung der Sicht und Beleuchtung ist integraler Bestandteil des Fahrzeugdesigns und geht weit über das hinaus, was man auf der Windschutzscheibe sieht (lacht). Die Umsatzrelevanz der Divisionen Light und Brain für Valeo ist fast gleich groß.

Gehört da dann auch die ganze Sensorik dazu samt Kamera-, Radar- und Lidarsystemen?

Schwab: Das gehört zu „Valeo Brain“, wo wir auch das Software Defined Vehicle weitertreiben. Und auch hier geht es ja nicht nur um die Lidare und Surround-View-Kameras, sondern auch um Domaincontroller und komplette Steuersysteme.

Vor der Nutzfahrzeug-IAA war die Eurobike, auch da hat Valeo wieder ausgestellt. Wo sind Eure Bike-Systeme verortet und wie entwickeln die sich perspektivisch?

Schwab: Sehr gut! Die Fahrräder sind bei Power dabei, das ist Teil meiner Einheit, Powerdrive Europa. Und dazu gehören neben Hoch- und Niedervoltsystemen samt Kupplungen auch Stellmotoren und die Small Mobility. Das sind nicht nur Fahrräder, dass können auch Dreiräder oder Leichtfahrzeuge wie der Opel e-Rocks sein. Die 48-Volt-Basis ist hier eine ideale Plattform, um Automobiltechnik in neue Applikationen zu bringen, immer mit dem Fokus, Annehmlichkeit, Kundennutzen und die Sicherheit zu erhöhen.

Perfekt gesagt aber Sie uns hier ein konkretes Beispiel nennen?

Schwab (lacht): Klar! Neben der Kreislaufwirtschaft, übrigens auch ein ganz spannendes Thema, haben wir hier mit „Valeo Brain“ ein ganz tolles Human-Machine-Interface geschaffen, das auf der Eurobike Premiere feierte: Ein Zwei-Inch-Touchdisplay mit smartdock, das übergangslos umschalten kann vom Stadt- auf einen Bergmodus. Dazu kommt eine Diebstahlsicherung via Handy: Bewegt man sich mehr als 3 Meter weg vom Bike, schaltet es in den Leerlauf. Man könnte das Fahrrad dann zwar noch schultern, aber nicht mehr fahren. Dazu kommt unser neuer Performance-Antrieb mit Sieben-Gang-Automatik, der bis zu 130 Newtonmeter Drehmoment bietet.

Das waren bis vor kurzem noch die Werte kleiner Pkw?

Schwab (lächelt wieder): Wie sagte man einst? Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum! Wodurch man einst eben auch mehr Drehmoment gewann und das gilt auch heute noch: Mehr Drehmoment schadet nie, gerade, wenn man an die großen mit Pedalen betriebenen Last-Mile-Fahrzeuge denkt. Mittlerweile haben wir schon 25 Kunden im Bike-Business gewonnen.

 

Valeo stellt sich hier also bewusst breiter auf?

Schwab: Definitiv. Ich sehe in der breiten Range elektrischer Antriebe ein wichtiges Differenzierungsmerkmal, mit dem wir auf sehr schnell geänderte Marktanforderungen reagieren. Denn wir machen das ja nicht, weil es uns Spaß macht, auch mal einen Antrieb für Fahrräder zu entwickeln, sondern weil wir - obwohl es uns Spaß macht, das zu tun - auch konkrete Kunden dafür haben. Die Elektrifizierung der Antriebe sehe ich persönlich als eine der größten Transformationen der Automobilwirtschaft und die damalige Einheit Valeo-Siemens hat aktiv dazu beigetragen.

Mittlerweile hat Valeo das Geschäft komplett übernommen, aber der Hochlauf lässt mancherorts zu wünschen übrig. Wie reagieren Sie darauf?

Schwab: Wir haben eine E-Achse mit großer Reichweite, Leistung und Effizienz entwickelt, aber die Marktentwicklung ist nun mal kein linearer Prozess. Vor eineinhalb Jahren hätte ich Ihnen sicher noch eine andere Prognose bezüglich des Markthochlaufes gegeben, aber wir sind in der Lage, geänderte Nachfragen in unseren Prozessen abzubilden und können auf Nachfrageschwankungen reagieren. Zumal unsere Technik nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Ladestationen benötigt und hier kommt auch wieder unser Thermalmanagement ins Spiel. Und wenn man dann noch die Software optimiert…, womit wir wieder bei unserer Division Brain wären. Immerhin haben wir mittlerweile 15 Jahre Erfahrung und lernen täglich dazu.

Trotzdem scheint die Entwicklung und Produktion in Europa immer schwieriger zu werden – auch mit Hinblick auf die Konkurrenz aus Asien?

Schwab: In China steigen die Zulassungen der vollelektrischen Fahrzeuge und Plug-in-Hybride weiter und auch in den USA wachsen die Zulassungen, aber dort gibt es durchaus Unsicherheiten. Was für Deutschland aktuell umso mehr gilt. Entsprechend müssen wir uns der Nachfrage unserer Kunden natürlich strategisch anpassen, zumal wir gerade in Deutschland aktuell eine große Unsicherheit der Endverbraucher haben. Hier gilt es, wieder Vertrauen zu schaffen. Und: Eine starke Konkurrenz aus China belebt auch das Geschäft, dem stellen wir uns gern!

Ihr CEO Christophe Périllat hat ja schon einmal angedeutet, dass der „Peak Auto“ bald erreicht oder gar überschritten sein könnte – weshalb sich Valeo noch breiter aufstellt und andere Branchen sucht. Teilen Sie seine Prognosen?

Schwab (lächelt wieder): Ich bin zuletzt vorsichtig geworden mit Prognosen, trotzdem halte ich die Diversifizierung für die absolut richtige Strategie. Die Mobilitätsbedürfnisse ändern sich und unsere Produkte passen sich dem an. Ob jetzt ein „Peak Auto“ erreicht ist oder nicht, wage ich hier nicht zu prognostizieren. Aber ich glaube, es ist eindeutig, dass auch Fahrräder, Scooter, Dreiräder, Motorräder und Leichtfahrzeuge weltweit mehr Nachfrage nach Elektrifizierung generieren, da sie mehr Sicherheit und Komfort mit sich bringt.

Wie hoch schätzen Sie das Entwicklungspotenzial der E-Maschinen noch ein? Hier hat sich allein in den letzten fünf Jahren noch sehr viel getan?

Schwab: Sehr hoch. Wir haben das Thermalmanagement noch nicht voll ausgeschöpft und auch über die Divisionsgrenzen hinweg haben wir noch großes Potenzial. Aber um innerhalb von Valeo Power zu bleiben, sehen wir, dass der technische Wandel so schnell ist, dass wir die Bausteine, die wir dazu schufen, auch immer wieder adaptieren müssen.

Inwiefern?

Schwab: Wenn wir ein bisschen tiefer in konkrete Systeme einsteigen, gehören dazu auch E-Achsen, Getriebe, der Motor selbst, Pulswechselrichter, DCDC-Systeme, das Thermomanagement plus die integrierte Software und und und. Das heißt, dass wir auch einzelne Bauteile oder Subkomponenten, was immer eben notwendig, weiterentwickeln müssen. Denn all das, seien es die 800-Volt-Systeme oder die Chiptechnologie mit Silikon-Carbid, zahlt auf eine höhere Reichweite und schnellere Lademöglichkeiten ein. Kurz gesagt: Unsere Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. Das ist ähnlich wie beim Handy, wo man auch mit dem I-Phone 1 dachte, das sei kaum noch zu toppen. Heute stehen wir kurz vor Generation 16.

Valeo gehört zu den größten Patentanmeldern in Frankreich und ist auch in Europa bei den Großen in Sachen Patentanmeldungen. Wird dieses Tempo anhalten?

Schwab: Ja, ich glaube sogar, es wird eher die Normalität als die Ausnahme sein. Um neuen Input zu bekommen, öffnen wir uns auch für Kooperationen. Beim Software Defined Vehicle kooperieren wir beispielsweise mit Qualcomm, Google und Renault, beim autonomen Parken mit BMW. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen: Über mehr Input erhalten wir auch mehr Kompetenz.

Man merkt schon, dass das Thema Flexibilität und Innovation sehr hoch aufgehängt ist. Gilt das auch für die Nachhaltigkeit?

Schwab: Gut, dass Sie fragen, das wollte ich auf gar keinen Fall auslassen: Valeo will bis 2050 CO2-neutral sein. Auch hier habe ich ein paar konkrete Beispiele: So entwickeln wir derzeit mit Renault einen Elektromotor ohne seltene Erden, der bis 2027 in Serie gehen soll. Außerdem treiben wir die Kreislaufwirtschaft voran, nach dem 4R-Motto: Robustes Design, Remanufacture, Repair, Recycle. Da könnte ich Ihnen das Beispiel eines Anlassers nennen, den wir über unsere Logistikketten zurückholen. Wir untersuchen ihn, tauschen defekte oder abgenutzte Teile und geben ihn in den Ersatzteilmarkt zurück. Das spart 80% Material.

Ich habe einst von Oliver Zipse, CEO bei BMW einmal gehört, dass man perspektivisch ohnehin versuchen muss, eigene Materialkreisläufe zu schaffen, da auch die Rohmaterialien endlich sind und damit sehr teuer werden können. Teilen Sie diese Meinung?

Schwab (lacht): Da stimme ich Herrn Zipse voll und ganz zu. Wenn wir Produkte wie den vorher erwähnten Anlasser in den Kreislauf zurückgeben, sparen wir dabei über 80% der Materialien ein. Das stellt nicht die Robustheit des Produktes selbst in Frage, eröffnet aber ganz andere Möglichkeiten, wie man in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren Produkte weiternutzen oder recyceln kann.

Sie haben ihre eigene Logistik? Lohnt sich denn das überhaupt?

Schwab: Wir könnten viele Dinge nicht tun, wenn wir hier überall drauflegen müssten. Unsere interne Logistik gehört zu unseren Kernkompetenzen, außerdem verfügt der Valeo Service auch über weitere Vertriebskanäle, hier arbeiten wir eng mit Kollegen zusammen und konnten da schon viele positive Impulse generieren. Das Remanufacturing können wir heute schon sehr gut abbilden, wir unterziehen eine Million Produkte jährlich dem Remanufacturing Prozess, bis 2030 wollen wir das verdoppeln. Mit Stellantis erarbeiten wir gerade die erste Frontkamera, die remanufactured werden kann.

Wie muss man sich das vorstellen?

Schwab: Wir zerlegen jedes Produkt in alle Einzelteile. Die werden dann aufbereitet, defekte Teile werden ersetzt. Dann wird das ganze Produkt wieder assembliert, getestet und geht dann in den Ersatzteilmarkt zurück. Das ist allerdings nicht ganz so leicht wie es aussieht, aber macht Sinn. Zumal wir verpflichtet sind, Ersatzteile bis zu 15 Jahre nach Produktionsende liefern zu können. Da hatte man dann die Wahl, entweder die Produktion noch in kleinen Stückzahlen aufrechterhalten zu müssen oder ein entsprechend großes Lager zur Vorratshaltung aufzubauen. Hier macht das Remanufacturing vieles einfacher und mit den Kunden entwickeln wir hier ganz neue Gesamtkonzepte. Das ziehen wir über alle Divisionen und haben auch schon eine Initiative für komplett recyclierte Materialien gestartet. Auch da kann man dann wieder Prozesse hinterlegen, um das abzuprüfen.

Wie entwickelt sich die Brain Division und das Thema Software Defined Vehicle weiter?

Schwab: Sehr gut. Erst kürzlich wurden wir von Frost & Sullivan mit dem Global Company of the Year Award 2024 in der Kategorie „Software Defined Vehicle“ ausgezeichnet. Fakt ist: das Software Defined Vehicle ist extrem wichtig und auch hier entwickeln wir weiter, sowohl was die Computerleistung als auch offene Softwaresysteme, Sensorik, Tests und Qualifizierung angeht. Wir sind hier Schlüssellieferant bei BMW, Renault, Stellantis sowie chinesischen und US-Marken. Außerdem kooperieren wir mit Google oder Qualcomm. Das ist auch wichtig, um hier Leuchtturmprojekte im Bereich ADAS oder EDA zu haben, zudem entwickeln wir Radar-, Kamera- und Lidarsysteme sowie die zugehörigen Domaincontroller. Für die Zukunft des autonomen Fahrens ist ein Lidar meiner Meinung nach unvermeidbar, auch wegen der nötigen Redundanz und Präzision. Wir halten derzeit 575 Patente alleine dafür. Insgesamt haben wir Lidar-Aufträge für über eine Milliarde Euro, und produzieren diese im bayerischen Wemding.

Der Standort Deutschland wurde grundsätzlich schon mal positiver bewertet. Hohe Energiepreise und Löhne in Kombination mit dem Mangel an Fachkräften gelten als die größten Hindernisse. Gilt das auch für Valeo? Immerhin wurde die Produktion von E-Maschinen für Mercedes-Benz wegen zu geringer Nachfrage nach Polen verlagert?

Schwab: Ich bin überzeugt davon, dass die richtige Technologie im richtigen Automatisierungsgrad absolut geeignet ist für die Produktion an unserem Standort, je nach Reifegrad der Produkte. Natürlich muss man da immer die Kosten und die jeweilige Nachfrage im Blick behalten. Aber ich bin der Ansicht, dass wir grundsätzlich die Innovationskraft haben, hier zu produzieren, sowohl auf der Produkt- als auch auf der Prozessseite. Und natürlich muss sich auch bei uns jedes Werk beweisen. Aber beim Lidar sind wir die Nummer 1 und spüren Wachstum in allen Segmenten, die mit dem automatisierten Fahren zusammenhängen. Was nur bekräftigt, das Valeo ein Tech-Unternehmen ist und bis zu 10% vom Umsatz wieder in Innovationen investiert. Wir haben allein in Deutschland elf Entwicklungszentren und über 8.000 Mitarbeiter. Und: Deutsche Kunden machen weltweit 30% vom Valeo-Umsatz. Der Standort Deutschland ist also ganz wichtig für Valeo.

Was sind dann die nächsten Schritte?

Schwab: Unser strategischer Move Up Plan zur Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität ist immer die Grundlage unseres Handelns, den wir komplett so umsetzen. Wir werden außerdem definieren, wofür wir als Valeo Deutschland stehen. Es ist wichtig, dass unsere Leute nach wie vor so tolle Arbeit leisten wie bisher.

Lebenslauf:

Holger Schwab begann seine Karriere 1993 bei Valeo mit Stationen in Deutschland, Frankreich und Nordamerika und wurde 2007 Vice President Valeo Wiper Systems. Er wechselte im Jahr 2012 zur Modine Manufacturing Company, um das Europageschäft zu führen. Er übernahm 2019 als CEO das Joint Venture Valeo Siemens eAutomotive und wurde in 2022 im Zuge der vollständigen Integration in Valeo Vice President der Produktgruppe Powertrain Electrified Mobility. Im April 2024 kam die Ernennung zum National President Germany und zusätzlich im Juni Vice President Power Drive Europe Regional Operations bei Valeo. Schwab studierte Process Engineering und Business Administration an der Universität Stuttgart und schloss als Diplom-Kaufmann ab.

 Das Interview führte Gregor Soller

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