Thema des Monats

„Zwischenstaatsfeindliche Entscheidung“

Thema des Monats März 2013

Seit rund drei Jahren befinden sich die Schweiz, Deutschland und Österreich nun schon in einem „Taxi-Streit“ um die Abholrechte am Flughafen Zürich-Kloten. Die Wogen schienen sich geglättet zu haben, doch seit einigen Wochen ist alles wieder ganz anders. Unser Thema des Monats liefert eine Chronologie über Staatsverträge, Fluglärm, ein Bezirksamt, ein Gutachten, eine Stadtverwaltung und das Jonglieren mit politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Der Streit begann Anfang 2010:

136 eidgenössische Taxifahrer, die am Flughafen Zürich-Kloten tätig sind, reichen eine Petition an die Stadt Kloten und an das Schweizer Verkehrsministerium ein und fordern, dass deutsche und österreichische Taxiunternehmer keine Fluggäste mehr am besagten Airport abholen dürfen. Sie verweisen dabei auf zwei Staatsverträge der Schweiz aus den Jahren 1953 (mit Deutschland) und 1958 (mit Österreich). Darin wird die grenzüberschreitende, gewerbsmäßige Personenbeförderung (mit Fahrzeugen bis zu neun Sitzplätzen) in den jeweils anderen Vertragsstaat zwar grundsätzlich gestattet, nicht jedoch die dortige Aufnahme eines neuen Fahrgastes – auch nicht bei vorheriger Bestellung. Die beiden Staatsverträge waren offenbar in Vergessenheit geraten bzw. wurden nicht umgesetzt – bis zu jener Petition. Die Stadt Kloten entscheidet daraufhin, dass deutsche und österreichische Taxis ab dem 1. Januar 2011 keine Fluggäste mehr am Flughafen Zürich abholen dürfen. Wirtschaftsverbände aus Deutschland und Österreich zeigen sich empört ob der plötzlichen Einschränkung, da sie die bisher bei grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen praktizierte Freizügigkeit konterkariere.

Januar 2011:

Das schweizerische Bundesamt für Verkehr teilt in Reaktion auf die Proteste mit, dass es im Streit um grenzüberschreitende Abholungen vom Flughafen Zürich-Kloten “auch die grenzüberschreitenden Interessen berücksichtigen” wolle.  Eine Arbeitsgruppe solle bis zum Frühjahr 2011 konkrete Lösungen erarbeiten. Bis dahin würden keine Bußgelder gegen Taxiunternehmer aus Deutschland und Österreich verhängt.

Juli 2011:

Der Bund, der Kanton Zürich, die Stadt Kloten und der Flughafen einigen sich nach langen Diskussionen auf eine sogenannte 90-Tage-Einschränkung. Soll heißen: Ab Juli 2012 dürfen Taxis aus Österreich und Deutschland nur noch während 90 Tagen pro Jahr Fahrgäste an den Flughafen Zürich bringen und von dort auf Bestellung abholen. Nach diesen 90 Tagen bleibt das Bringen erlaubt, jedoch nicht das Abholen. Deutsche und österreichische Taxiverbände bezeichnen die Regelung als unangemessen und lebensfremd und reichen eine gemeinsame Protest-Resolution gegen die 90-Tage-Regelung beim schweizerischen Bundesamt für Verkehr ein.

Mai 2012:

Das Europaparlament meldet sich zu Wort und kritisiert die 90-Tage-Regelung ebenfalls. Eine Kommission solle prüfen, ob die Einschränkung für österreichische und deutsche Fahrer mit dem Abkommen über den freien Personenverkehr vereinbar ist.

Juni 2012:

Das Schweizer Bundesamt für Verkehr teilt mit, dass die 90-Tage-Regelung nun doch nicht wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten wird. Es wird dabei bekannt, dass die Schweiz und Deutschland bereits am 28. Januar 2012 auf Ministerebene beschlossen haben, die Taxi-Frage in die Verhandlungen über die Fluglärm-Problematik am Züricher Flughafen zu integrieren, die parallel laufen und im Sommer 2012 abgeschlossen sein sollen. Bis dahin werde die Inkraftsetzung der neuen Vorschriften für ausländische Taxis bis auf Weiteres aufgeschoben.

Juli 2012:

Deutschland und die Schweiz einigen sich im jahrelangen Streit über den Fluglärm am Züricher Flughafen. Die Details ersparen wir Ihnen an dieser Stelle, sie tun auch nichts zur Sache. Denn: Wie die Taxi-Frage in Zukunft gehandhabt werden soll, ist immer noch nicht klar.

November 2012:

In einigen Medien macht die Meldung die Runde, dass Taxifahrer aus Deutschland und Österreich aufgrund einer Änderung der Züricher Taxiordnung ab 2013 wieder uneingeschränkt Fahrgäste vom und zum Flughafen befördern dürfen. Das Ganze ist zumindest eine halbe „Ente“. Die besagte Änderung der Züricher Taxiordnung gibt es zwar, unklar ist jetzt aber, ob diese auch für Kloten, den Standort des Flughafens, gilt. Und was ist eigentlich mit den beiden Staatsverträgen aus den 50er Jahren? Sind die jetzt hinfällig? So genau weiß das offenbar keiner. Der Verband des Verkehrsgewerbes Südbaden schreibt unterdessen, dass die "Taxiproblematik" von den deutsch-schweizerischen Fluglärmverhandlungen abgekoppelt wurde. Die Rechtslage für Taxiunternehmer befinde sich in der Schwebe, da vor Schweizer Gerichten diesbezüglich einige Verfahren anhängig seien. Diese juristischen Bewertungen müssten erst abgewartet werden. Vor dem Frühjahr 2013 sei hier nicht mit einer Entscheidung zu rechnen, bis dahin bleibe alles beim Alten.

Anfang 2013 bis heute:

Der Schweizer Bezirksrat Bülach wird eingeschaltet. Er wacht darüber, dass die Städte und Gemeinden im Bezirk Bülach (zu dem auch die Stadt Kloten gehört) gesetzeskonform handeln. Er ist eine vom Volk gewählte erste Rechtsmittelinstanz, um Streitigkeiten außergerichtlich zu regeln. Fünf Schweizer Taxifahrer hatten sich stellvertretend für ihre rund 250 Kollegen am Flughafen an den Bezirksrat gewandt.  Sie beklagten, dass über 90 Prozent der Fahrten nach Deutschland und Österreich von Taxiunternehmen aus dem benachbarten Ausland abgewickelt werden und dass den Schweizer Berufskollegen dadurch seit dem Jahr 2000 bis zu 35 Prozent der Umsätze weggebrochen sind.

Die Schweizer Chauffeure haben mit ihrer Beschwerde Erfolg: Der Bezirksrat beschließt am 7. Februar, dass ausländische Anbieter künftig Gäste zum Flughafen bringen, nicht aber von dort abholen dürfen. Er beruft sich als Grundlage der Entscheidung auf ein Gutachten des Europainstituts an der Uni Zürich. Dieses hatte die IG Airport Taxi, der Zusammenschluss der Züricher Flughafen-Taxifahrer, in Auftrag gegeben und bestätigt bekommen, dass die derzeit praktizierte Freizügigkeit unrechtmäßig sei.

Das Gutachten kritisiert laut der „Neuen Züricher Zeitung“ vom 15.2., dass die Schweiz ausländischen Anbietern mehr Rechte gewähre, als es sonst zwischenstaatlich innerhalb der EU praktiziert werde. Eine Grundlage für das Recht ausländischer Taxiunternehmen auf Abholung von Fahrgästen vom Züricher Airport finde sich weder im Abkommen über die Freizügigkeit (wo Verkehrsdienstleistungen ausgenommen werden) noch in jenem über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, wo nur Verkehrsdienstleistungen mit mehr als 9-sitzigen Fahrzeugen liberalisiert werden.

Die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes spreche sich ebenfalls gegen eine Anwendbarkeit der allgemeinen Dienstleistungsfreiheit auf das Verkehrsgewerbe aus. Laut Gutachten fänden daher einzig und alleine die beiden Staatsverträge aus den 1950er-Jahren Anwendung.

Der Bezirksrat folgt der Argumentationslinie des Gutachtens und weist die Stadt Kloten an, „alle Maßnahmen zu treffen, welche sicherstellen, dass die unrechtmäßige gewerbsmäßige Fahrgastaufnahme nicht mehr erfolgt.“ Er empfiehlt aber, eine Übergangsfrist zu prüfen, da die Staatsverträge seit vielen Jahren nicht mehr angewendet wurden und sich ausländische Anbieter auf diese Praxis verlassen hätten.

Gegen diese Entscheidung des Bezirksrats sind Rechtsmittel zulässig, auf die die Stadt Kloten jedoch verzichtet. Sie gab am 5. März bekannt, dass sie „eine Klärung der Taxifrage nicht weiter verzögern“ wolle und die vielzitierten Staatsverträge von 1953 und 1958 ab dem 1. Januar 2014 umsetzen werde, sofern der Beschluss des Bezirksrates Rechtskraft erlangt.

Dies wäre am 22. März der Fall, da dann die Beschwerdefrist abläuft. Doch Widerstand wurde bereits angekündigt: Die IHK Hochrhein-Bodensee will die verbleibende Zeit nutzen, um „eine möglichst große Zahl von Beschwerden auf den Weg zu bringen. Betroffene Unternehmen sind ebenso angesprochen wie Verbände und Vereinigungen.“, schreibt die Industrie- und Handelskammer. Unabhängig davon werde die IHK selbst Beschwerde einreichen und diese allen Interessierten auf ihrer Homepage zur freien Verwendung zur Verfügung stellen.

Der Verband des Verkehrsgewerbes Südbaden e.V. zeigt sich in einer Pressemitteilung zusammen mit dem Bundesverband BZP ebenfalls empört über die Entscheidung des Bezirksrats Bülach. Der südbadische Verband setze auf die seit mehr als 50 Jahren geltende selbstverständliche Abwicklung, dass Deutsche wie auch Schweizer Taxifahrer nicht leer zurückfahren müssen, nachdem sie einen Fahrgast im grenzüberschreitenden Verkehr befördert haben.

Peter Welling, Hauptgeschäftsführer des Verbandes, vermutet hinter dem neuen Beschluss aus der Schweiz gar eine Retourkutsche dafür, dass „Deutschland sich im Streit über die Bodensee-Überfluggenehmigungen unnachgiebig zeigt“. Der Verband will jedenfalls gegen die „zwischenstaatsfeindliche Entscheidung“ ebenfalls Beschwerde beim Verwaltungsgerichts Zürich einreichen.

Wir sind sicher, dass dieser Chronologie bald ein neues Kapitel hinzugefügt werden muss ...

Hinweis der Redaktion: In unserer aktuellen Frage des Monats möchten wir Ihre Haltung zum Thema kennenlernen – und das nicht alleine in Bezug auf Dauer-Streit mit der Schweiz: Sollte man zum Schutz der ortsansässigen Taxibetriebe ähnlich wie in Zürich die Abholung der Fahrgäste durch betriebsfremde Taxi- und Mietwagenunternehmen reglementieren oder gar verbieten? Hier können Sie abstimmen und Ihre Meinung kommentieren. Wir sind gespannt.

(jh)
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