Fahrbericht VW ID. Buzz: Stark in Fahrt, schwach in Fracht

Bei der ersten längeren Tour besticht der futuristische E-Bulli mit top-Effizienz, Performance, Handling, Komfort und Assistenz – schwächelt aber bei Alltagswerten wie Nutz- und Anhängelast sowie Volumen.

Flott in Fahrt: Der ID. Buzz überzeugt mit hoher Performance aus dem Stand und top Wendigkeit. | Foto: VWN
Flott in Fahrt: Der ID. Buzz überzeugt mit hoher Performance aus dem Stand und top Wendigkeit. | Foto: VWN
Redaktion (allg.)
(erschienen bei LOGISTRA von Johannes Reichel)

Es kommt selten vor, dass man bei der Vorstellung eines Fahrzeugs verfolgt wird. Und zwar nicht nur von den Blicken zahlreicher Passanten inklusive Radfahrer in Kopenhagen, wo der neue VW ID. Buzz erstmals ungetarnt das Straßenbild frequentierte. Sondern handfest von einem schwedischen Bulli-Fan, der uns dann kurz nach der Querung der Öresund-Brücke am beliebten Foto-Spot Luftkastellet stellte. Genau so einen habe er gerade bestellt, erklärte der freundlich-enthusiastische, mittelalte Herr sein „Stalking“. In genau diesem Gelbgrün. Er habe das Fahrzeug nur online gesehen, das sei seine erste echte Begegnung. Wann Langversion, Allradmodell respektive der leistungsstärkere GTX komme, wollte er wissen.

Bis der Schwede seinen Buzz überhaupt in Empfang nimmt, wird wohl noch einiges Wasser durch den Sund fließen. Bestellstart war zwar schon und über 10.000 Interessenten taten es dem Beispiel des Schweden gleich. Aber bis die Fahrzeuge wirklich zum Kunden rollen, wird es später im Herbst. Erstaunlich dabei: Die Hälfte der Orders beläuft sich auf die Cargo-Variante, überraschend für den Hersteller. Es gibt also auch im gewerblichen Bereich Kunden, die bereits sind, ab 46.000 Euro netto für den ikonischen E-Bulli hinzublättern, wenn sie Glück haben, noch mit der aktuellen höheren E-Auto-Prämie im Rücken. Diese wird übrigens auch in Schweden mit dem nächsten Jahr stark reduziert, wie uns der nordische Bulli-Fan mitteilte.

Langversion nur beim Kombi

Im Falle des Cargo-Buzz erstaunt umso mehr, dass es einstweilen anders als beim Kombi keine Langversion geben wird und das reine Ladevolumen mit 3,9 Kubikmeter kaum mehr bietet als ein Caddy Maxi. Beim Kombi sind es 1,1 bis 2,2 Kubikmeter, wenn man die Lehne der leider fix montierten Bank klappt. Der Heckantrieb erhöht zudem Ladeboden und Ladekante generell und erzwingt zugunsten eines ebenen Bodens ungewohnte Platzverschwendung des mit zwei Meter Crafter-mäßig breiten und mit 1,94 Meter T6-hohen E-Bulli. Immerhin: Das 1,73 Meter breite Ladeabteil mit 1,23 Meter Durchlade zwischen den Radkästen ist über zwei 76 Zentimeter breite Schiebetüren und wahlweise Heckflügeltüren gut zugänglich, zwei Paletten passen rein. Optional gibt‘s eine Durchlade für die Trennwand.

Auch die Nutzlast liegt mit 516 bis 650 Kilo (Cargo) und 443 bis 529 Kilo (Kombi) nicht hoch, die Anhängelast von 1.000 Kilo sogar unter dem Caddy. Das Ganze wird erst möglich durch ein auf drei Tonnen gesteigertes Gesamtgewicht. Eine Auflastung bis 3,2 Tonnen ist wohl im Gespräch, aber zum Start noch nicht gelistet. Der 77-kW-Akku fordert eben seinen Tribut und treibt das Leergewicht des Kastens auf 2,4, beim Kombi auf 2,5 Tonnen. Doch genug gemeckert. Denn die „Sahneseite“ des ID. Buzz erschließt sich erst in Fahrt.

Gute Übersicht und viel Platz

Nicht ganz so hoch wie im T6 oder T7 nimmt man in einer wahren Kanzel und in geräumigen Kabine mit fast ebenem Boden Platz und genießt dank Stummelfront und schlanker Trapez-A-Säulen eine top-Sicht nach vorn. Beim Cargo wartet eine gut nutzbare Ablagegalerie auf dem Armaturenbrett auf Lieferpapiere oder Alltagsutensilien. Es gibt ein tiefes Handyfach, optional die praktische Multifunktionsbox zwischen den Sitzen, in Serie Holzboden, Seitenverkleidung und Trennwand sowie für ein gewerbliches Fahrzeug ansehnliche Materialien und schon in den Vorserienfahrzeugen gute Verarbeitung. Beim Kombi reicht die Materialgüte allerdings nicht an Multivan-Niveau heran, was man mit Farben und Dekors gekonnt überspielt. Immerhin sind die Sitze über jeden Zweifel erhaben und man wirbt mit der Verwendung von recyceltem Meeresplastik (Seaqual Option).

Erstklassiges Handling

Wie gut das breispurige Fahrwerk – vorne Einzelradaufhängung, hinten Mehrlenkerachse – arbeitet, bemerkt man etwa, wenn man über Kopfsteinpflaster oder die zahlreichen Bodenwellen der lokalen Verkehrsberuhigung rollt. So satt und trocken verarbeitet kein anderer VW Bus den Unbill der Straße. Kein anderer rollt so leise ab und liegt zudem so satt und sicher auf der Straße. Wie aus einem Guss zirkelt man den E-Bulli mit der präzisen, nicht zu scharfen Lenkung über Landstraßen, in der Stadt klotzt der Strombus dank Heckantrieb mit einem engen Wendekreis von elf Metern. So kommt für ein Nutzfahrzeug ungewohnter Fahrspaß auf, natürlich auch im zum Start nur fünfsitzigen Kombi. Dazu kommt, dass die Wind- und Abrollgeräusche exzellent unterdrückt sind, man hört oft nur das hochfrequente Surren des E-Antriebs im Heck.

Effizienter MEB-Antrieb, zumindest im ID. Buzz

Der sorgt schon in der „Single-Motor“-Version mit 150 kW für flotte Fahrleistungen. Die Synchronmaschine mit ihren 310 Nm bringt den wuchtigen Van wie von einer unsichtbaren Faust geschoben ansatzlos in Fahrt. Welcher Dreitonner schnellt schon in zehn Sekunden auf 100 km/h? Auf der anderen Seite wird die Rollenergie per Dreh am Lenkstockknubbel auf „B“ ordentlich rekuperiert, wie bei VW üblich einstufig. Auf Einpedal-Fahren muss der ID.Buzz-Fahrer verzichten. Dies halten die VW-Ingenieure für die effizienteste Antriebsstrategie.

Das bestätigen zwei ausgiebige Touren im Cargo und Kombi: Zumindest wirft der Bordcomputer mit jeweils um die 18 kWh/100 km im Stadt/Überland/Autobahnmix mit maximal 110 km/h einen vielversprechenden Wert aus. Im reinen City-Betrieb lassen sich die Werte auf 15 kWh/100 km drücken, ohne Ladeverluste, versteht sich. Aber für ein solches Kaliber wäre das höchst respektabel. So ergibt sich eine reelle Chance, die 450 Kilometer (WLTP 425 km), die beim Start bei 98 Prozent Akku angezeigt werden, auch umzusetzen. Auf Langstrecke trägt auch der für ein solches Trumm gute cW-Wert von 0,285 (Kombi) und 0,29 (Cargo) bei.

Ein kleinerer Akku kommt noch nach - für mehr Nutzlast

Gewerbliche Kunden werden statt des 77 kWh-Akkus nach weniger Reserve an Energie, dafür mehr Reserve an Nutzlast rufen. Sie sollen mit einer 58-kWh-Variante später bedient werden. So oder so ist der E-Bulli mit 170 kW Ladeleistung in CCS rasant wieder bei Kräften: Eine halbe Stunde dauert es von 5 auf 80 Prozent, mit dem 11-kW-AC-Lader 7:30 Stunden. Die Positionierung beifahrerseitig am Heck erfordert Rangierarbeit, die einem wahlweise der sogar merkfähige „Parkautomat“ abnimmt. Wobei das Manövrieren auch dank der guten, beim Cargo etwas größeren und guten Spiegeln und der (optionalen) Rückfahrkamera leicht fällt, aus unserer Sicht ein absolut lässliches, Goodie und ein gutes Beispiel dafür, dass Innovation nicht immer Fortschritt bedeutet.

Fahrassistenz (optional) top

Die zweite Sahneseite des ID.Buzz ist sein wahlweise hohes Niveau an Fahrerassistenz bis hin zu teilautomatisiertem Fahren auf Level 2, perspektivisch sogar Level 3 oder 4. Wer den Travel Assist für 1.700 Euro ordert und am Lenkrad aktiviert, wird zuverlässig und mittlerweile wohldosiert auf Abstand und in der Spur gehalten, zudem vor Fahrzeugen im toten Winkel –  als gut wahrnehmbare Leuchtmarke im Spiegelgehäuse – oder vor Kollisionen gewarnt, nötigenfalls automatisch eingebremst. Wer es provoziert, den gemahnt der Automat, die Hände wieder ans Lenkrad zu nehmen.

Das Navi steuert auch Schwarmdaten von anderen, per WLAN-Funk verkuppelten, ID-Modellen (Car2X) im Verkehr bei, etwa um die Spurführung bei schlechter Markierung zu optimieren oder sogar erstmals einen „assistierten Spurwechsel“ zu unterstützen, was uns zugegebenermaßen noch unheimlich ist und lieber selbst vollzogen wird. Einzig die Verkehrszeichenerkennung mit intelligentem Tempomaten fehlt hier und kostet beim Cargo nochmal 600 Euro extra. Beim Kombi ist sie wie auch der Spurassistent oder Abbiege- und Ausweichassi Serie. Der Bus kommt zudem mit ID. Light in Serie, das mit flirrenden Farbsignalen unter der Windschutzscheibe eher etwas irritiert. Wo gespart wird, merkt man am Verbau von laut VW verschleißfreien Trommelbremsen hinten in den breiteren und mindestens 18 bis 21 Zoll großen Hinterreifen. Der ID. Buzz verzögert aber zuverlässig und stramm, falls die Rekuperation mal nicht reichen sollte.

Tolle Features, vieles gegen Aufpreis

Zum (wahlweise) hohen Sicherheitslevel gesellt sich eine zeitgemäße (wahlweise) Konnektivität auf Basis des ab 1.200 Euro teuren Konzern-Infotainments, das mit präziser Echtzeitnavigation in 3D-Optik klotzt. Bis zu acht USB-C-Slots mit Leistung bis 45 Watt sind verfügbar. Bedientechnisch fremdelt man noch immer mit der umständlichen Wisch-Weg-Regulierung etwa des Klimas, auch hier: Innovation nicht gleich Fortschritt. Funktionen finden sich aber zahlreich in den Submenüs.

Im radikal aus dem Baukasten übernommenen Zentraldisplay kann man sich nur den Langzeitverbrauch anzeigen lassen, der Individualisierungsspielraum hält sich hier in Grenzen. Wichtig ist das Keyless-Entry und Go-System, das aber immer 800 Euro extra kostet. Profis können gegen Aufpreis auf die Telematik „We Connect Fleet“ zurückgreifen, inklusive Wartungsmanagement, digitalem Fahrten/Kostenbuch sowie Fahrzeugprofil.

Zum Standard zählt dagegen: Die Update-Fähigkeit des ID. Buzz „Over the Air“ (OTA). So soll der E-Bulli mit der Zeit immer schlauer werden. Ebenso Standard: Der E-Bulli wird bilanziell CO2-neutral geliefert, auch dank tierfreier, recycelter und recycelbarer Materialien. Schon heute strahlt er in Serie so knuffig ins Umfeld, dass oft ein Lächeln zurückkommt. Oder man gar freundlich verfolgt wird.

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