On-Demand-Verkehr gefällt auch dem Taxler

Das fahrplanlos verkehrende „MEGmobil“ von Jens Marggraf begeistert in Melsungen nach sechs Monaten nicht nur seine beiden Auftraggeber, sondern auch ihn als Taxiunternehmer.

Eine Zwischenbilanz zogen an dieser neuen Haltestelle (v.l.) Projektleiter Martin Weißhand, Jens Marggraf und sein Sohn Moritz, NVV-Geschäftsführer Steffen Müller und Bürgermeister Markus Boucsein. Bild: Dietmar Fund
Eine Zwischenbilanz zogen an dieser neuen Haltestelle (v.l.) Projektleiter Martin Weißhand, Jens Marggraf und sein Sohn Moritz, NVV-Geschäftsführer Steffen Müller und Bürgermeister Markus Boucsein. Bild: Dietmar Fund
Dietmar Fund
Ridepooling

Seit dem 16. Dezember 2019 ergänzt das fahrplanlos zwischen Haltestellen verkehrende Anruf-Sammel-Taxi „MEGmobil“ einen seither im Halbstundentakt verkehrenden Stadtbus in Melsungen. Beide zusammen verbinden tagsüber die beiden Bahnhöfe, das Krankenhaus, viele Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten und damit alle wesentlichen Anlaufpunkte der Kleinstadt miteinander. Ab 19 Uhr und am Wochenende übernimmt das „MEGmobil“ diese Aufgabe alleine. Es verkehrt an allen Tagen bis 23 Uhr. Wochentags steht es derzeit ab 7 Uhr und an Wochenenden und Feiertagen ab 8 Uhr zur Verfügung.

Mit diesem Konzept hat der Nordhessische VerkehrsVerbund (NHH) vor Beginn der Corona-Pandemie bis zu 890 Fahrgäste im Monat über sein On-Demand-Angebot befördert. Während der Ausgangsbeschränkungen fiel diese Zahl zwar auf maximal 435 Fahrten pro Monat, aber im Juni 2020 waren schon wieder 820 Fahrgäste im „MEGmobil“ zu verzeichnen. Es löste das herkömmliche Anruf-Sammel-Taxi (AST) ab, mit dem bis Dezember 2019 nur maximal 560 Fahrgäste pro Monat unterwegs gewesen sind.

Eine ähnliche Verbesserung zeigte sich beim StadtBus in Melsungen. Bei ihm wurden zwei Linien, zwischen denen umgestiegen werden musste, durch eine einzige ersetzt, die im Halbstundentakt mit 22-Sitzern der Sprinter-Größe bedient wird.

Außerhalb des Schulverkehrs im Februar fuhren 4.420 Fahrgäste mit den Stadtbussen der Frölich Linie Melsungen GmbH, was einer Verdoppelung gegenüber den früheren Umsteigebeziehungen entspricht. Nach einem auch im Bus registrierten Corona-bedingten Tief von 1.770 Fahrgästen ist auch dort mit 3.400 Fahrgästen monatlich fast wieder die alte Nutzerfrequenz erreicht.

Diese Zwischenbilanz zogen der Melsungener Bürgermeister Markus Boucsein, NVV-Geschäftsführer Steffen Müller und NVV-Projektleiter Martin Weißhand am 2. Juli 2020. Sie wollten mit ihrer Pressekonferenz im Beisein des Taxiunternehmers Jens Marggraf an einer von fünf neu eingerichteten Haltestellen das „MEGmobil“ in der Bevölkerung erneut ins Gespräch bringen. Ihr Vorhaben war als Teil des überregionalen Projekts „MobilFalt Melsungen“ schon 2017 vom ehemaligen hessischen Verkehrsminister Dieter Posch angeregt und mit Unterstützung der SPD- und der FDP-Fraktion zwei Jahre lang intensiv vorbereitet worden.

Die Integration in den ÖPNV ist vorteilhaft

Für den Bürgermeister und den NVV-Geschäftsführer ist die wieder anziehende Nutzung des elektrisch angetriebenen, sechssitzigen und barrierefreien LEVC TX des Taxiunternehmers ein Beleg dafür, dass es besser ist, mit Partnern aus der Region ein in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) voll integriertes On-Demand-Angebot zu machen, als einen fremden Anbieter mit eigener App zu beauftragen. Das „MEGmobil“, das aus Kostengründen zunächst bewusst nur ein Einzelgänger ist, kann über die Fahrtwunschzentrale des NVV und dessen Software HAFAS der Siemens-Tochter HaCon telefonisch, über die NVV-Homepage und über eine App gebucht werden. Laut dem NVV-Geschäftsführer gehen die Buchungen zu rund 80 Prozent telefonisch und nur zu etwa 20 Prozent online ein, obwohl das AST als Vorläufer bereits seit drei Jahren online buchbar gewesen sei. Wenn der Fahrgast seine Wunschadressen und seine Wunschabfahrtszeit angibt, teilt ihm das Callcenter oder die Software mit, wo die nächst gelegenen, bewusst ausgeschilderten Haltestellen sind und wann er voraussichtlich abgeholt wird. Über die zwischengeschaltete Software von Eckardt Software Management (ESM) werden dann Fahrten in dieselbe Richtung gebündelt, disponiert und der Firma Marggraf als Fahraufträge über deren Fahrer-App gemeldet. Der Fahrgast muss eventuell zwischen 15 Minuten und einer Stunde warten. Das Pooling kommt laut Jens Marggraf insbesondere an den gut ausgelasteten Samstagen und Abenden häufig vor.

Stammgäste können im Voraus buchen, was bei ähnlichen On-Demand-Angeboten oft noch nicht möglich ist. Bezahlen müssen die Fahrgäste noch in bar im Fahrzeug, wobei die Fahrten ins Tarifsystem des Verbunds integriert sind. Man braucht für die Nutzung also nicht unbedingt ein Smartphone wie bei Anbietern, die Städten hauptsächlich ihre Software verkaufen wollen.

Jens Marggraf hat sich nach den politischen Vorgaben bezüglich des Elektroantriebs und der Barrierefreiheit bewusst für das „London-Taxi“ entschieden, das nun auch von seinen Auftraggebern als werbewirksamer „Hingucker“ empfunden wird. Der im nahen Baunatal vertretene Volkswagen-Konzern als „regionaler“ Partner konnte nichts Entsprechendes bieten. Eine Rollstuhlanfrage hatte Marggraf bislang nur zweimal und statt der umständlich ausklappbaren Rampe nutzt er lieber einen Alu-Tritt.

Die Stundenpauschale ist auskömmlich

Marggraf hat für das Projekt zusammen mit seinem Sohn Moritz eine eigene Firma gegründet. Für die Nutzung des Fahrzeugs hat er eine Stundenpauschale verhandelt, die über die projektierte Zeit von sechs Jahren hinweg die durchschnittliche tägliche Fahrleistung von rund 100 Kilometern abdeckt und für den Unternehmer trotz höherer Fahrerlöhne als im Taxi interessant ist. Laut einer übers Internet öffentlich zugänglichen Vorlage für die Stadtverordnetenversammlung liegt die Stundenpauschale um mehrere Euro höher als die 30 Euro, die Taxiverbände als absolute Umsatzuntergrenze ansehen.

Geladen wird das Fahrzeug immer nachts sowie zwischendurch, weil bei der hügeligen Topographie von Melsungen die Reichweite meist nur 80 Kilometer beträgt. Damit bleibt sie deutlich hinter der (sowieso nur knapp dreistelligen) Herstellerangabe zurück. In Kürze sollen zu der 11 kW-Ladesäule am alten Standort zwei neue mit 22 kW Ladeleistung in der neuen Zentrale und in der Werkstatt hinzukommen.

Damit ist der Unternehmer für einen Ausbau des bedarfsgesteuerten, fahrplanlosen Angebots gerüstet. Melsungen ist für das als gemeinwirtschaftlicher Linienverkehr konzessionierte System derzeit das einzige Testfeld des NVV. Sein „MEGmobil“ wird im Landkreis als Vorbild für andere Kommunen aufmerksam verfolgt.

„Große Einheiten werden wir auf dem Land verlieren, aber wie Melsungen zeigt, kann man mit kleinen Einheiten viel bedienen“, sagt Jens Marggraf. „Deshalb sind wir heiß auf das Pooling, aber angebunden an den ÖPNV.“ df

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Seite 14 bis 15 | Rubrik Unternehmensführung
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